Vitamin aus dem Sonnenlicht, dem Essen oder aus der Apotheke?
Vitamin D-Mangel und Osteoporose
In den letzten Jahren gab es einen gewissen „Hype“ um das Vitamin D: Sagenhafte Wirkungen wurden der Substanz nachgesagt und pauschal ein quasi landesweiter schwerster Mangel „attestiert“. Muss man nun immer Vitamin D einnehmen?
„Vitamin“ D3 und seine Funktionen
Vitamine sind per Definition organische Verbindungen, die in unserem Organismus nicht als Energieträger verwendet, sondern für lebenswichtige Funktionen benötigt werden und durch den Stoffwechsel nicht bedarfsdeckend hergestellt werden können, sondern von außen zugeführt werden müssen. Das Vitamin D3, welches der menschliche Körper in der Haut bei Sonnenbestrahlung selber herstellen kann, ist von deswegen eigentlich gar kein Vitamin, sondern allenfalls eine Stoff, den man je nach Lebensweise, Kleidungsstil und eventuell der Urlaubsvorlieben nur „manchmal“ zu den Vitaminen zählen kann. Folgt man den bisher häufig genannten Ratschlägen für die gesunde Allgemeinbevölkerung, würde man am ehesten von einem „Winter-Vitamin“ sprechen, denn in dieser Zeit ist es in unseren Breitengraden bei Kölschem Wetter faktisch nicht möglich, eine ausreichende Produktion sicherzustellen. Das in der Laienpresse oft auch als „Sonnenhormon“ oder „Sommerhormon“ oder „Seefisch-Vitamin“ bezeichnete Cholecalciferol ist im physiologischen Sinne ein Prohormon, welches aufgrund seiner Fettlöslichkeit und der Möglichkeit zur Aufnahme mit der Nahrung zur Gruppe der fettlöslichen Vitamine gezählt wird.
Bei ausreichender Sonneneinstrahlung auf unbedeckte Haut entsteht aus dem reichlich im normal ernährten menschlichen Körper vorkommenden 7-Dehydrocholestrol das Cholecalciferol, ein Prohormon, welches in weiteren Schritten in Leber und Nieren zu Calcitriol bzw. 1,25-(OH)-Vitamin-D3 umgewandelt wird, eine im Organismus potente Substanz in der Regulation des Knochen-Calcium-Regelkreises und damit insbesondere für Erkrankungen des Knochensystems hochrelevant.
In den letzten Monaten und Jahren gab es einen gewissen „Hype“ um das Vitamin D3: Sagenhafte Wirkungen wurde der Substanz nachgesagt und pauschal ein quasi landesweiter schwerster Mangel „attestiert“. Tatsächlich wurde gezeigt, dass im März eines jeden Jahres – also am Ende der dunklen Jahrhälfte – mit rund 57% aller Bewohner in Deutschland mehr als die Hälfte der Bevölkerung einen nennenswerten Vitamin-D3-Mangel mit Spiegeln von unter 20 µg/L aufweisen. Zumindest Fachleuten ist überdies bekannt, dass eine Zufuhr über natürliche Nahrung bei geringem Vorkommen teils sehr schwierig und eine zusätzliche Substitution oft unumgänglich ist, da tatsächlich nur echtes Sonnenlicht – idealerweise an 12 Monaten im Jahr – eine gute Produktion in der eigenen Haut garantiert. Es konnte nachgewiesen werden, dass nur das klassische Sonnenbad unter freiem Himmel (und aufgrund des falschen Spektrums nicht im Solarium) eine ausgezeichnete Wirkung auf die Knochendichte hat. Menschen, die sich regelmäßig und ausreichend lange in der Sonne aufgehalten haben, dabei genug „nackte Haut“ zeigten und zumindest für einige Minuten auch nicht mit hochpotenten Lichtschutzfaktoren behandelt worden sind, hatten höhere 25-(OH)-Vitamin-D Konzentrationen als Probanden in der Kontrollgruppe.
Folgen eines Vitamin D3-Mangels
Ein physiologischer Spiegel von „Vitamin D3“ wird je nach Quelle mit Werten von 30-70 µg/L im Serum angegeben. Die Literaturangaben schwanken etwas, bleiben aber seit der Veröffentlichung des New England Journals aus dem Jahr 1998 mehr oder weniger konstant in diesem Rahmen. Nachgewiesen ist, dass die intestinale Resorption des Calciums deutlich sinkt, wenn der Vitamin-D-Spiegel des Patienten regelhaft 30µg/L unterschreitet.. Interessant ist, dass das dem „Problemkomplex“ namensgebende Vitamin D3, also das Cholecalciferol, laborchemisch gar nicht bestimmt wird. Wenn also – auch in diesem Artikel – von einem Vitamin-D-Mangel gesprochen wird, sind Situationen gemeint, in denen Patienten Calcidiol (25-OH-Vitamin-D3 total) Spiegel haben, die unter 30 µg/L liegen.
Studien und Experten streiten sich, ob man einen isolierten Vitamin D3-Mangel spüren kann und ob die Mangelsituation ohne weitere Folgen an sich einen Krankheitswert hat. Viele kleinere Studien legen nah, dass ein zumindest nennenswerter Mangel mit Müdigkeit, Depressionen und Schlafstörungen assoziiert sein soll. Beschrieben werden auch Hautprobleme oder die erhöhte Anfälligkeit für bakterielle und Pilzinfektionen. Kleinere Arbeiten lassen eine Korrelation zwischen einer schweren D3-Unterversorgung mit arterieller Hypertonie, Herzkreislauferkrankungen, Asthma bei Erwachsenen, metabolischem Syndrom und einigen Autoimmunerkrankungen als möglich erscheinen (Wang et al., 2008, Pilz et al., 2008, Searing et al., 2010). Unstrittig ist jedoch, dass manifeste Erkrankungen, die zumindest teilweise durch einen Vitamin-D3-Mangel bedingt sind, schwere Gesundheitsstörungen bedingen können: Die Folgen eines ausgeprägten chronischen Calciummangels reichen von leichten Knochenschmerzen bis zu schwersten Knochenverbiegungen, Skoliose und Osteoporose mit gefährlichen Frakturen.
Osteoporose und Vitamin D3
In der Leitlinie des Dachverbandes der Deutschsprachigen Wissenschaftlichen Osteologischen Gesellschaften e.V. (DVO) ist die Osteoporose als eine systemische Skeletterkrankung definiert, die durch eine niedrige Knochenmasse und eine mikroarchitektonische Verschlechterung des Knochengewebes charakterisiert ist, mit einem konsekutiven Anstieg der Knochenfragilität und der Neigung zu Frakturen. Wenn es bereits zur Frakturen als Folge der Osteoporose gekommen ist, spricht der Mediziner von einer manifesten Osteoporose. Eine Osteoporose wird bei einer krankhaft erniedrigten Knochendichte diagnostiziert; eine einzige fassbare Ursache für die Osteoporose gibt es nicht, vielmehr wurden allgemeine Risiken definiert, die das Auftreten einer Osteoporose wahrscheinlicher machen: Ein hohes Lebensalter, das weibliche Geschlecht, bereits stattgehabte Wirbelkörperfrakturen und periphere Frakturen, die nach dem 50 Lebensjahr auftraten, erhöhen die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer Osteoporose. Wenn Vater oder Mutter eines Patienten oder einer Patientin Femurfrakturen hatten, ist das Risiko ebenso erhöht. Internistische Erkrankungen, wie eine chronisch obstruktive Atemwegserkrankung (COPD), die vorwiegend bei schweren Rauchern auftritt, sind ebenso wie Untergewicht, Gewichtsabnahme oder Anorexia nervosa mit der Osteoporose vergesellschaftet. Auch ein chronischer Laxantienabusus kann, womöglich auch über den Verlust von fettlöslichen Vitaminen über den Darm, ebenso die Osteoporose triggern. Eine optimierte Knochenmineralisation im Sinne einer maximalen Knochenmasse während der Adoleszenz wird jedoch als präventive Maßnahme zur Verhinderung einer Osteoporose angesehen. Um diese optimale Knochendichte zu erreichen, sollte man deswegen insbesondere im Kindesalter eine Unterversorgung mittels Vitamin D3 verhindern (Cashman et al., 2008, Lehtonen-Veromaa et al., 2002). Interventionsstudien zeigen, dass bei älteren Menschen ein Zusammenhang zwischen einer Vitamin-D-Mangelversorgung und Funktionseinschränkungen der Mobilität, Stürze, Frakturen und frühzeitiger Tod besteht. Durch Supplementation von Vitamin D3 ließ sich die Anzahl der Stürze von Menschen über 65 Jahren reduzieren.
Vitamin D3 und Ernährung
Eine pauschale Ernährungs- oder Zufuhrempfehlung für ein Vitamin zu geben, welches eigentlich für die gesunde Allgemeinbevölkerung allenfalls in den Wintermonaten essentiell ist, gestaltet sich naturgemäß schwierig. In einer Zeit, in der immer mehr Arbeitsplätze zum größten Teil in Gebäuden lokalisiert sind, viele Menschen in Zeiten von Online-Spielen und Social-Media immer weniger Zeit im Sonnenlicht verbringen, ist es unmöglich, die Vitamin-D3-Versorgung eines Patienten durch einen „klinischen Blick“ oder Erfahrung abzuschätzen. Eine Sonnenexpositionsdauer von 5-30 Minuten am Mittag in den Monaten April bis September zwei Mal pro Woche scheint bei weißen gesunden erwachsenen Menschen als ausreichend. Eine Überdosierung mittels Vitamin D3 durch Sonnenexposition ist nicht möglich. Aufgrund seiner Lipophilie (Fettlöslichkeit) kann der menschliche Körper Vitamin D3 jedoch in einem gewissen Rahmen auch in seinem Körper speichern und sich für den Winter „vorbereiten“. Neben den Fettzellen speichern auch Muskelzellen und die Leber Vitamin D3. Bei totaler Sonnenkarenz erscheint eine alleinige ausreichende Zufuhr über die Nahrung als schwierig, wenngleich einige Nahrungsmittel als natürliche Vitamin D3-Quellen bekannt sind: Relevante Mengen an Vitamin D3 finden sich in tierischen Nahrungsmitteln wie z.B. fettem Fisch (insbesondere der geräucherte Aal mit 21 µg/100 g wäre hier zu erwähnen). Vitamin D ist dabei hitzebeständig, so dass der Fisch nicht roh gegessen werden muss. Bei den tierischen Produkten sind Eier, Margarine und Milch zu nennen. In pflanzlichen Quellen findet man deutlich geringere Mengen, und eher in Form von dem inaktiven Vitamin D2 vorliegend (z.B. die Avocado als Spitzenreiter mit einer Konzentration von 5 µg/100 g). Weitere pflanzliche Lebensmittel wären Champignons und Pfifferlinge, allesamt aber in Dosisbereichen, durch die teilweise mehrere Kilogramm Pilze, Frucht oder Liter Saft am Tage konsumiert werden müssten, um einen „Tagesbedarf“ zu decken. Durchschnittlich werden vom deutschen Bürger „mit normalen Essgewohnheiten“ laut dem letzten Positionspapier der deutschen Gesellschaft für Ernährung lediglich 3 µg (entspricht ca. 125 IE) mit der Nahrung aufgenommen. Gleichzeitig wird eine tägliche Zufuhr von ca. 20 µg empfohlen. Spezielle Risikogruppen für einen Vitamin D3 Mangel wie Schichtarbeiter und Personen mit limitierter Sonnenlichtexposition und chronisch Kranke (insbesondere Patienten mit Leber/Niereninsuffizienz und Erkrankungen aus dem Gastrointestinaltrakt) profitieren insofern mit Sicherheit von einer engmaschigen Kontrolle des Vitamin D3- und Calciumspiegels.
Die Empfehlung an unsere Patient:innen
Die allgemeine Studienlage inklusive der aktuellen Osteoporose Leitlinie empfiehlt keine generelle Vitamin D3 Supplementation zur Prävention oder Behandlung. Eine tägliche Zufuhr in den Wintermonaten kann empfohlen werden, die Dosierung sollte dann zwischen 500 – 2000 IE am Tag liegen. Die Gaben können aber durchaus, zum Beispiel um die „Tablettenlast“ bei älteren Menschen zu senken, auf eine wöchentliche Gabe (beispielsweise 10.000 IE immer „sonntags zum Tatort“) zusammengefasst werden. Von verschiedenen Fachgesellschaften wurde eine tolerierbare Obergrenze für die tägliche Vitamin-D3-Zufuhr definiert, unter der keine unerwünschten Nebenwirkungen zu erwarten sind. Diese wurde vom Institute of Medicine (IOM) zuletzt auf 4000 IE (100 μg) angehoben.
Da sich die individuelle Versorgungssituation schwer abschätzen lässt oder einfach anamnestisch zu erfragen wäre, kann zumindest eine initiale Kontrolle des D3-Spiegels empfohlen werden. Die Patient:innen der Inneren Medizin MediaPark werden im Rahmen des Arztgesprächs zu Lebens- und Essengewohnheiten befragt. Sollten sich Verdachtsmomente einer Unterversorgung ergeben, wird der Vitamin D-Spiegel kontrolliert.
So seltsam die folgende Empfehlung in Zeiten des „Anti-Agings“ und des modernen Hautschutzes mit hohen Lichtschutzfaktoren aussehen mag: Das klassische Sonnenbad, und sei es nur wenige Minuten am Tag, zeigte in Bezug auf den Vitamin-D-Spiegel, den Parathormonspiegel als auch auf die gemessene Knochemasse sehr gute bzw. die optimalsten Effekte. Bewegung an der frischen Luft, idealerweise mit möglichst wenig abgedeckter Haut, die zumindest kurzzeitig auch nicht mit einem Lichtschutzfaktor behandelt ist, sollte unseren Patient:innen unter der Prämisse der Vermeidung von Sonnenbrand empfohlen werden.
Eine über die tolerierbaren Obergrenzen hinausgehende medikamentöse Substitution sollte nur nach Bestimmung des Spiegels, einer ärztlichen Anamnese sowie Untersuchung erfolgen. Eine blinde Substitution ohne Kontrollen und ohne Indikation kann nicht empfohlen werden – schon gar nicht ganzjährig.